„Die Geschlechterperspektive, die sich in den Interviews niederschlägt, wird insbesondere im Aufsatz von Claudia Honegger (160ff.) thematisiert. Darin verweist sie explizit auf die auffällige Präsenz der Dimension geschlechterspezifischer (strukturierter) Körperlichkeit in allen Schilderungen (163) sowohl in Bezug auf Arbeitspraxen als auch Krisenkompetenzen. In diesem Zusammenhang ist auch der Befund zweier institutionalisierter Wettbewerbsarenen im männlich dominierten ‚Haifischbecken‘ interessant: eines mit hohem körperlichen Einsatz und zeitlicher Belastung ausgetragenen ‚Leistungsdarwinismus‘ auf der mittleren Führungsebene und eines über exorbitant hohe Einkommen regulierten ‚Prestigedarwinismus‘ an der Spitze des Managements. Auffällig tritt in den Deutungen der Befragten eine Tendenz zur Naturalisierung sowohl von Geschlechterdifferenzen als auch von Marktgesetzen (als ‚Naturgesetzen‘) hervor. Oft wird in diesem Zusammenhang ein allgemein menschlicher (männlicher?) Hang zur ‚Gier‘ und ‚Ehrsucht‘ als anthropologische Konstante zur Exkulpation für das Handeln der Banker und ihrer Kunden herangezogen. Dennoch trägt zum Verständnis der Krise, wie Claudia Honegger wohl zu recht anmerkt, ‚die metaphysische Diagnose, sie sei männlich, eher wenig bei. Geht es doch vielmehr darum, die Denkmuster und Handlungsweisen konkreter Männer und Frauen zu betrachten, die unter den strukturellen Vorgaben der Finanzwelt agieren ‚mussten‘ respektive ‚konnten‘ (161).“ Andreas Heilmann, Feministische Studien, Nr. 2/2011
„Entstanden ist ein schillerndes und differenziertes Bild der Motiv- und Lebenslagen, beruflichen Habitusformationen und Deutungsmuster von Mitarbeitenden in den unterschiedlichsten Bereichen des Banken- und Finanzwesens. Den Autoren gelingt es, ein Stimmungsbild aus der Bankenwelt zu zeichnen, Fallmaterialien für weitere Analysen zu sammeln und prägnante Zitate hervorzuheben, die bestimmte Merkmale der Praxis innerhalb des Bankenwesens auf den Punkt bringen. Die Falldarstellungen sind durchwegs prägnant und plastisch. Informativ sind die knappen Skizzen des jeweiligen berufsbiographischen Hintergrundes der Interviewpartner. Auch die institutionellen Hintergründe werden erhellend dargelegt. Den Hinweis, dass die politischen Massnahmen zur Rettung der Banken ‚das Machtgefühl der Banker am Ende bestärkt‘ (310) habe, bietet einen Anknüpfungspunkt für die Rekonstruktion der Eskalation der ökonomischen Krise zur Krise der EU. Die Strukturen, die zur Finanzkrise führten, sind nicht überwunden, sondern nur verlagert worden.“ Oliver Schmidtke, Sozialer Sinn, Nr, 13/2012
„Die globale Finanzkrise hat nicht nur in populärkulturellen Medien zu vermehrten investigativen Berichterstattungen geführt, sondern hat auch in den Sozialwissenschaften eine Reihe von Publikationen angeregt, die sich mit den Irrungen und Wirrungen einer komplexen und hermetisch abgeschotteten Finanzwelt auseinandersetzen. Mit der Absicht klare und handfeste Aussagen über die Ursachen und Hintergründe der Finanzkrise zu formulieren, verlieren sich jedoch einige Analysen in abstrakte und funktional-strukturalistische Erklärungsmuster, die die Finanzkrise als ein unkontrollierbares gestaltloses Phänomen erscheinen lassen. Von solchen Ansätzen, ‚welche auf die ökonomischen Strukturen fokussieren und die Krise als anonymes Geschehen abrollen lassen‘ (24), distanzieren sich die Herausgeber der Studie mit dem Titel ‚Strukturierte Verantwortungslosigkeit‘ dezidiert. Im Zentrum ihrer Untersuchung stehen hingegen der praktische Sinn der handelnden Akteure des Bankensektors, ihr Alltagswissen und ihre subjektive Sicht auf die Finanzwelt vor und nach der Finanzkrise. Darüber hinaus interessieren sich die Herausgeber für die soziale Herkunft der Finanzakteure und für ‚das Passungsverhältnis zwischen Habitus, Weltanschauung und der beruflichen Praxis‘ (27). Der Band rekonstruiert mittels biographischer Fallstudien und essayistischer Analysen die prekären Entwicklungen auf den globalen Finanzmärkten. Dabei folgt er der Perspektive der Banker, ihren Beschreibungs- und Deutungsschemata. Wohlwissend, dass Akteure des Bankensektors nicht besonders gesprächig sind und sich gewöhnlich in Diskretion üben, geriet es den Autoren das günstige Zeitfenster in den Monaten nach dem Ausbruch der Finanzkrise für ihr sozialwissenschaftliches Forschungsprojekt zu nutzen. Denn durch die medialen Diskurse gelang der gesamte Berufstand der Banker zunehmend in ‚Diskredit‘, so dass zum damaligen Zeitpunkt ‚Schweigen nun beinah als Schuldeingeständnis galt‘ (24). Die Autoren führten zahlreiche Interviews mit Managern und Bankangestellten in Frankfurt/Main, Zürich und Wien, die verschiedene Geschäftsbereiche repräsentieren (z. B. Devisenhandel, Investmentbanking, Finanzderivate und Kreditgeschäft). Entstanden sind – in Anlehnung an Robert A. Nisbet – 31 soziologische Porträts, die die Logiken und Kontingenzen des Feldes von innen her veranschaulichen.
Der einleitende Beitrag der Herausgeber gibt einen ausführlichen Einblick in die historischen Hintergründe und Entwicklungen der Finanzkrise. Die Herausgeber führen den Beginn geldpolitischer und marktliberalisierender Reformen auf die Abschaffung der Bretton-Woods-Vereinbarung in 1973 durch die Nixon-Regierung zurück, die unter anderem die Aufhebung des fixen Wechselkurses zur Folge hatte. Ein weiterer Faktor der zur Verselbstständigung und zur Globalisierung von Finanzmärkten geführt habe, sei der technologische Fortschritt. Denn die Weiterentwicklung schneller Computer, die Einführung des Clearing Interbank Payment System (CHIPS) und die Verwendung von Satelliten, habe den Geldverkehr und die Ausführung von Finanztransaktionen insofern beschleunigt, dass Handel rund um die Uhr in Echtzeit möglich wurde. Darüber hinaus vergrösserte sich das Angebot innovativer Finanzprodukte, zumal der Kreativität der Finanzproduktfabrikanten keine Grenzen gesetzt waren. Rating-Agenturen vergaben in diesem Zusammenhang Bestnoten (Tripple A Ratings) für Finanzinstrumente, die selbst Händler der Grossbanken nicht vollkommen verstanden. Diese hohe Komplexität mancher Finanzprodukte führte dazu, dass hoch gehandelte Wertpapiere ‚toxisch‘ wurden: Aus Wertpapieren waren Papiere ohne Wert geworden, die zudem finanziell abzuschreiben waren. Die globale Dimension der Finanzkrise wurde erst dann ersichtlich, als die Folgen aus dem Zusammenbruch des US-Subprime Marktes unmittelbar auf den europäischen Finanzmärkten zu spüren waren. Europäische Banken verzeichneten Verluste mit verbrieften amerikanischen Hypothekenpapieren und strukturierten Finanzprodukten (etwa CDO’s). Diese Talfahrt wird zum erheblichen Teil den umstrittenen Praktiken der Hypothekenvergabe US-Amerikanischer Banken zugeschrieben, weil vermehrt so genannte ‚ninja loans‘ (no income, no job, no asset) vergeben worden waren. Der Niedergang von Lehman Brothers kann retrospektiv als ein faktischer und symbolischer Vorbote eines Dominoeffekts auf den Finanzmärkten verstanden werden. Daran anschliessend folgte das makabere Politspiel der Versenkung der Banken: Wer überlebt aus eigener Kraft? Wer erfährt die Gunst des Staates und wer wird seinem mehr oder weniger selbstverschuldeten Schicksal ausgeliefert? Vor dem Hintergrund dieser Chronik der Finanzkrise präsentieren Herausgeber und Autoren soziologische Porträts, in denen Banker mit ihrem ‚feldspezifischen Vokabular‘ selbst zu Wort kommen. Die Banker-Porträts werden in folgenden vier fiktiven ‚Denk- und Aktionsräumen‘ eingebettet, die sich hinsichtlich ihrer Sichtweisen und Denkstile unterscheiden: Spielwiese, Rennbahn, Anstandsbühne und Grauzone. Diese fiktiven Räume stellen die äusseren thematischen Klammern dar, die eine Kohäsion und eine Inklusion der soziologischen Porträts ermöglichen.
Die Spielwiese (35ff.) ist der Aktionsraum der sogenannten ‚Quants‘, Mathematiker und Physiker, die komplexe mathematische Modelle konstruieren, Finanzprodukte strukturieren, Erwartungswerte und verschiedene Arten von Risiko- und Ausfallwahrscheinlichkeiten berechnen. Sie betrachten sich nicht als richtige Banker, sondern als Aussenseiter und Spezialisten, die Freude an ihrer mathematischen Tüftel- und Knobelarbeit haben. Sie distanzieren sich kategorisch von der blinden und naiven Anwendung ihrer Modelle durch Händler, was durch die folgende Aussage eines promovierten Physikers verdeutlicht wird: ‚Auf ein Modell hundert Prozent vertrauen? Na dann wär‘s ja die Wirklichkeit‘ (50). Neben den Quants werden auch diejenigen Banker hier zugeordnet, die von strukturierten Finanzprodukten und deren Handelsoptionen, aufgrund ihrer Neuartigkeit fasziniert sind. Die Rennbahn (95ff.) ist der Ort des Konkurrenzkampfes, wo überwiegend junge, männliche Investmentbanker und Broker dominieren. Dieser Denk- und Aktionsraum ist höchst kompetitiv und durch Ehrgeiz, Kampfgeist, hohe Arbeitsbelastung und Orientierung an kurzfristiger monetärer Nutzenmaximierung gekennzeichnet. Diese Banker haben sich von der illusionären Erwartung immer wachsender Renditen anstecken lassen: ‚Es war mega-cool! Man dachte die Welt wächst in den Himmel‘ (134). Der Bankrott von Lehman Brothers hat sie dann am stärksten schockiert. Auf der Anstandsbühne (173ff.) befinden sich die ‚klassischen‘ Banker, die sich und ihre Arbeit als ‚anständig‘ bezeichnen, an traditionellen Geschäftsmodellen festhalten und unter dem Imageverlust leiden, den sie in ihrer Wahrnehmung nicht mitverschuldet haben. Aber sie fühlen sich durch die Habgier der Investmentbanker, die sie immer wieder kritisierten, und dem Unvermögen des Top-Managements der Bankinstitute von den Konsequenzen der Finanzkrise selbst getroffen.
Die Grauzone (261ff.) beinhaltet zwielichtige und schillernde Gestalten, die sich die undurchsichtigen Vorgänge auf den Finanzmärkten zu Nutze machten und in ihren Ausführungen zur Finanzkrise Wirklichkeiten ins Unkenntliche verklärten. So kommt es dann auch zu widersprüchlichen Aussagen, wie die eines Vorstandsdirektors: ‚Das ist eine der Stärken, aber auch gleichzeitig eine der Schwächen der Bank – bei uns ist alles dramatisch transparent‘ (275). Die Porträts zeigen eindrucksvoll das Unwissen, das zwischen bankinternen Bereichen über die jeweilige Aktivität besteht. Auffällig sind ferner die gegenseitigen Verfeindungen zwischen Private Banking, traditionellem Kreditgeschäft und Investmentbanking. Ein weiteres interessantes Ergebnis der soziologischen Porträts ist, dass die Sprache des Bankensektors durch den Gebrauch von martialischen Kriegsmetaphern gekennzeichnet ist. Thematische Essays bieten zwischen den Porträts analytische Reflektionen und Antworten auf Fragen zur Finanzkrise und der Bankenwelt im Allgemeinen: Sighard Neckel diskutiert die Finanzkrise als Krise einer erfolgsverwöhnten Kultur; Peter Mooslechner und Martin Schürtz erörtern die Rolle des Bonussystems für Bankmanager vor und nach der Finanzkrise; Claudia Honegger beschreibt den Bankensektor als ein Reich männlicher Alphatiere, in der Frauen eine Minderheit sind und sich ihre Anerkennung schwer erkämpfen müssen; Chantal Magnin geht der Frage nach der Relevanz von Vertrauen in Bankgeschäften nach; Manfred Biegler erörtert den in der Krise und in den Finanzskandalen sichtbar gewordenen Mangel an subjektiver Verantwortlichkeit; schliesslich fragt Dietmar J. Wetzel nach der disziplinären Herausforderung, die die Finanzkrise den Wirtschaftswissenschaften stellt.
Mit dem Begriff der ‚strukturierten Verantwortungslosigkeit‘ bieten die Herausgeber in der Schlussbetrachtung ein sensibilisierendes Konzept an, das die Ergebnisse der Studie pointiert verdichtet, denn in den vier Denk- und Aktionsräumen ‚verliert sich vielfach die Frage nach der Verantwortung jedoch im Ungefähren‘ (305). Die Herausgeber argumentieren gegen die weitverbreitete öffentliche Wahrnehmung, dass die Finanzkrise wie eine unvorhersehbare Naturkatastrophe über die globalen Finanzmärkte hereinbrach – so wie viele ihrer Gesprächspartner glauben machen wollen. Bereits in den 1980er Jahren gab es Warnungen vor einem Casino-Kapitalismus, der nur noch Spekulation und Wettspiele kenne; Forderungen nach politischer Regulierung und Kontrolle verpufften. Sieht man die Finanzkrise mit Luhmann (Luhmann 1991: 199) nüchtern als einen Test, so haben verschiedene Finanzprodukte ihn nicht gut bestanden. Die offensichtliche Stärke dieses Bandes ist seine mikrosoziologische und subjektorientierte Perspektive: Sie rückt die handelnden Akteure mit ihren Vorstellungen, Wünschen und Phantasien über diese ihre Lebenswelt in den Vordergrund, die doch eine eigentümlich abgeschottete Welt ist. Der Band dokumentiert damit, dass sich die Soziologie dem Phänomen ‚Finanzkrise‘ gewinnbringend über die Narrationen der Akteure nähern kann und Einblick in die Black Box der Banken- und Finanzwelt erhält. Der Gewinn liegt für die Soziologie auch darin, dass ‚Risiken auch als Resultate von Handlungen und Entscheidungen begriffen werden und nicht allein als Ergebnis anonymer technologischer Entwicklungen, auf die Akteure gar keinen Einfluss genommen hätten‘ (303). Die Finanzkrise, ihre Voraussetzungen und Folgen, werden damit an die Akteure, die sie durch ihre alltäglichen Handlungen und ihre subjektive Gier mit verursacht haben, zurückverwiesen. Für die Wirtschafts- und Finanzsoziologie markiert der Band eine grosse Herausforderung, denn er öffnet dieses abgeschottete, dennoch mächtige Feld und zeigt dessen Eigendynamiken und Eigenlogiken in einer Weise, wie sie von der soziologischen Forschung erahnt, aber noch nicht verstanden worden sind. Zugleich fehlt dem Band der eine oder andere Seitenblick auf die aktuellen Arbeiten insbesondere der Finanzsoziologie – und damit eine etwas stärkere theoretische Kontextuierung der vorgestellten empirischen Optik.“ Herbert Kalthoff/ Magneta Konadu, Soziologische Revue, Nr. 35/2012