Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib

„Claudia Honegger versteht ihre Arbeit als einen Versuch, die ‚Grundlagen‘ der modernen Welt auszugraben (212). Zu diesen gehört, so argumentiert sie, eine untergründige Deutungsstruktur einer ‚alles begründenden und ordnenden Ur-Duplizität‘, die ‚zum modernen Pathos der Geschlechterdifferenz gespreizt‘ wurde. Auf diesem Untergrund erst ruhe die ‚pathetisch verallgemeinerte kulturelle Dreifaltigkeit‘ von ‚Mensch‘, ‚Selbstreferenz‘ und ‚Moderne‘ auf (2). Will sie mit ihrer Fragestellung die wissenschaftsgeschichtliche Ausblendung des die Aufklärung massgeblich bestimmenden ‚Kulturkampfes um die Geschlechterkodierung‘ (3) aufheben, so argumentiert Claudia Honegger zugleich gegen von ihr geortete feministische Konstruktionen eines ‚patriarchalen Gesamtakteurs‘ (5). Sie plädiert vielmehr dafür, die ‚fürchterliche Redundanz des Differenzdiskurses‘ nicht in grossen theoretischen Ansätzen verschwinden zu lassen, sondern den Kern dieses Diskurses in ‚kontrastiv angelegten Fallanalysen‘ und in der ‚vergleichenden Untersuchung von alltäglichen und wissenschaftlichen Deutungen‘ (3) einzukreisen und so ‚Verschiebungen in den semantischen und normativen Gehalten freizulegen‘ (2).“
Johanna Gehmacher, L’Homme Z.F.G., Nr. 3/1992

„Honegger beginnt mit einer Untersuchung zur weiblichen Selbstreflexion gegen Ende des 18. Jahrhunderts. In ihr werden Ansätze einer weiblichen Differenzierungsdebatte sichtbar, die sich mit Selbstständigkeit und Individualität, Intellektualität und Moral beschäftigt. Diese Debatte läuft zwar weitgehend innerhalb der bestehenden Geschlechterdifferenzen, jedoch in Wahrnehmung der politischen und gesellschaftlichen Entstehungshintergründe und Gestaltungsmöglichkeiten. So wird z.B. gegenüber dem verbreiteten männlichen intellektuellen Muster ‚Weib oder Werk‘ ein weibliches Pendant ‚Windeln und Werk‘ (29) zumindest denkbar. Vielen Frauen wie Männern der Aufklärungszeit war die ‚natürliche und konstitutionelle Gleichheit der Geschlechter‘ (141) noch völlig fraglos, auch wenn selbständige weibliche Lebensentwürfe nur wenige Realisierungsmöglichkeiten hatten. Einen Ausweg bot und bietet die ‚Kultur der Empfindsamkeit‘. Als eine weitere Konsequenz der Abschiebung der Frauen in die innerfamilialen Handlungskreise entsteht bei ihnen quasi als paradoxe Folge der ‚säkularisierten protestantischen Berufsethik‘ (36) eine rigide Gesinnungsethik. So sei ‚die seit der Aufklärung vielbeschworene moralisch-sittliche Überlegenheit des weiblichen Geschlechts‘ (37) nicht nur als eine männliche Zuschreibung anzusehen, sondern müsse im Sinne einer ‚Umwandlung des äusseren Zwangs in eine ethische Forderung und innere Qualität‘ (38) interpretiert werden.“ Oliver König, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Nr. 2/1992

„In ‚Die Ordnung der Geschlechter‘ kann man nachlesen, wie die bürgerliche Gesellschaft zu einer männlichen geworden ist. Honeggers Gegenstand ist die europäische Entwicklung. Neben deutschsprachigen Autoren sind vor allem auch französische, wie etwa die Enzyklopädisten oder der allgegenwärtige Rousseau, und englische, wie die frühe Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft, berücksichtigt worden. […] Was da während rund 200 Jahren alles über ‚das Weib‘ geäussert wurde, ist – man muss es im einzelnen selber nachlesen – zuweilen ungeheuerlich, manchmal erstaunlich ‚modern‘ und alles in allem höchst widersprüchlich. Ohne sich in den Einzelheiten zu verlieren, zeigt Honegger sehr anschaulich, wie unordentlich es zuging bei der Entstehungsgeschichte der noch nicht allzu alten ‚Ordnung der Geschlechter‘, wie das, was wir weiblich nennen, keineswegs natürlicherweise so ist und wie die Geschichte von Männlichkeit und Weiblichkeit jederzeit auch anders hätte weitergehen können.“ Bettina Schmitz, Die Philosophin, Nr. 4/1991

„Die gesellschaftliche, politische und ökonomische Vormachtstellung des Mannes beruht für die Humanwissenschaftler letztlich auf seinem stärkeren Körperbau, die Unterdrückung und Ausbeutung der Frau wird ‚wissenschaftlich‘ als eine Konsequenz ihrer Physiologie definiert. Nicht ohne Humor weist Honegger darauf hin, dass gar nicht wenige der bekanntesten Vertreter dieser Art von ‚Wissenschaft‘ selbst klein, kränklich und/oder hässlich waren. […] Claudia Honegger ist es zu danken, dass sie, der Gewalt männlichen Vergessens und Vernichtens entgegen, viele dieser (er)starken(den) Frauen wieder ans Licht der Geschichte geholt hat: die vehement für eine kulturelle Autonomie von Frauen eintretende Emilie von Berlepsch beispielsweise oder die Dichterin Sophie von La Roche, die Philosophinnen Marianne Ehrmann und Wilhelmine Caroline von Wobeser oder die anonym gebliebenen Gestalten der Henriette und der C.B., die beide mit rhetorischer Brillanz die von der männlichen Geschichtsschreibung grossgemachten Denker Rousseau und Campe in argumentative Bedrängnis brachten.“
Siegfried Kaltenecker, Wespennest. Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder, Nr. 86/1992

„Die Autorin verfolgt mit Akribie und Humor den naturwissenschaftlichen Paradigmenwechsel in der Ordnung der Geschlechter in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, also in einer der herausragenden revolutionären Epochen europäischer Geschichte, in der gleichsam alles im Fluss ist. In diesem Sinne hat die Aufarbeitung der zeitgenössischen Geschlechterdifferenzierung notwendigerweise historiographisch zu oszillieren zwischen Wissenssoziologie und Medizingeschichte einerseits und – wissenstopographisch leichter zugänglich – klassisch-philosophischer Ideengeschichte andererseits. Was sie bei ihrer Archäologie des Wissens (Foucault) dabei alles Interessantes zutage fördert, überrascht auch den, der die wichtigsten Schriften der klassischen Aufklärer bisher zu kennen glaubte: Die Dialektik der Aufklärung im Horkheimerschen Sinne wird geschlechtsspezifisch plötzlich wieder einmal handfest spürbar, wenn selbst ihr bekanntester historischer Repräsentant J. J. Rousseau auf die Gefahr der öffentlichen Geschlechtervermischung meint hinweisen zu müssen. Rousseau empfiehlt zur Wahrung der Integrität der Männer die totale Absonderung der Frauen in der Öffentlichkeit, damit sich der Mann in ruhiger Kontemplation seiner Hauptaufgabe widmen könne: dem republikanischen Staat. In dieser unverblümten Aussage scheint noch einmal auf, was bislang schon immer Tradition war und bis heute aktuell geblieben ist: Die geschlechtlich halbierte Demokratie.“ Christine Häge, Die Neue Gesellschaft. Frankfurter Hefte, Nr. 1/1992

„Eine Grundthese von Honegger ist, dass gerade mit dem Verfall der gegen den cartesianischen Dualismus gerichteten grossen Anthropologien als Folge der aufkommenden Naturwissenschaften eine ‚Sonderanthropologie‘ des Weibes konserviert worden ist, die dem Rationalisierungsschub entzogen wurde. Nur in der Nische der Gynäkologie erhielt sich der philosophisch, psychologisch und soziologisch untermauerte Anspruch einer auf den ‚ganzen Menschen‘ gerichteten Wissenschaft, deren ganzheitliche Zugangsweise eine ‚Sondermoral‘ der Frauen auf Basis organlogischer Befunde begründen zu können erlaubte.“ Sylvia Kade, Manuskript, 1993

„Anhand des Briefwechsels Rousseaus mit Henriette, einer anonym gebliebenen Pariserin, die dem Philosophen ihre Stellung als ledige und gelehrte Frau zu erörtern sucht, rekonstruiert Honegger eine Geschichte weiblichen Unbehagens gegenüber der zunehmenden Beschränkung von gesellschaftlichen Handlungsräumen, das in den radikalen Ausführungen Mary Wollstonecrafts ‚A Vindication of the Rights of Women‘ (1792) seinen letzten Höhepunkt findet. Im weiteren Verlauf untersucht Honegger eine Reihe populärwissenschaftlicher Schriften, die für die damalige Zeit von massgeblicher Bedeutung waren. […] Im zweiten Hauptstück rekonstruiert Honegger die Verwissenschaftlichung des Geschlechterdiskurses in der neuzeitlichen Anthropologie. […] Honeggers Studie besticht durch den Umfang der herangezogenen Quellen, mit deren Hilfe sie die Grundlagen von geschlechtstypischen Identitätsmustern offenlegt, die noch heute als verbindlich gelten. Dabei bedürfen die Auszüge aus medizintheoretischen, populärwissenschaftlichen und philosophischen Texten kaum noch der Interpretation, belegen aber in prägnanter Weise die Thesen der Autorin und erweitern das Spektrum feministischer Studien zum 18. und 19. Jahrhundert.“ Judith Rinninsland, Freiburger Universitätsblätter, Nr.123/1994

„Streckenweise erscheint der Text wie eine komplettierte Zusammenfassung von bereits aus anderen Studien bekannten Einsichten zu den Geschlechterdebatten dieser Zeit von Aufklärung, Neo-Humanismus und bürgerlicher Revolution. ‚Die Ordnung der Geschlechter‘ ist insofern eher ein von der Dramaturgie her spannendes und flott geschriebenes Buch, das ein breiteres Publikum ansprechen könnte, als eine die einschlägige Forschung inhaltlich neu anstossenden Studie.“
Gudrun Axeli-Knapp, Soziologische Revue, Nr. 16/1993

„Claudia Honegger zeichnet den Prozess der Durchsetzung der Geschlechterdifferenz als von Natur aus bedingte als wissenschaftlichen Diskurs von der Anthropologie über die weibliche Sonderanthropologie zur Gynäkologie nach. Man merkt ihr an vielen Stellen die (Not)wendigkeit der Distanzierung durch sprachlichen Sarkasmus und Foucaultsche Schärfe der Formulierung an. Bedauerlich ist, dass ihre Arbeit an vielen Stellen aber auch unglaublich schwierig formuliert ist, vor allem im Vorwort und in der Einleitung, so dass hierdurch möglicherweise bei einigen LeserInnen schon der Blick auf die nachfolgenden Ausführungen verstellt ist.“ Hannelore Bublitz, Sociologia internationalis, Nr. 1/1993

„Die Sozialgeschichte mag sich weniger für die philosophie- und naturwissenschaftsgeschichtlichen Details in Honeggers Schrift interessieren, gleichwohl erscheint Honeggers Buch aus zwei Gründen lesenswert: Es dürfte nach 1750 eine offene Phase im Geschlechterverhältnis gegeben haben, in der die Zukunft und damit das künftige Geschlechterverhältnis nicht determiniert war. Der weibliche Diskurs belegt dies ebenso wie die konkurrierenden Positionen in Philosophie und Anthropologie. Die dann einsetzende Phase der Restrukturierung lässt sich – zweitens – nicht aus der Vergangenheit allein erklären, sondern spiegelt im naturwissenschaftlichen bzw. medizinischen Paradigmenwechsel (Thomas Kuhn) hin zur weiblichen Sonderanthropologie bzw. Gynäkologie gesellschaftliche Machtstrukturen ebenso wie die Zeitgebundenheit naturwissenschaftlicher und medizinischer Forschung wider.“ Flurin Condrau, Archiv für Sozialgeschichte, Nr. 33/1993

“Claudia Honegger gelingt es überzeugend, ihre Ausgangsthese von der ‚Generalisierung des Mannes zum Menschen der Humanwissenschaft‘ und von der ‚Besonderung der Frau zum Objekt einer mit philosophischen, psychologischen und sozialen Ansprüchen auftretenden medizinischen Teildisziplin‘, der Gynäkologie (S. 6), zu belegen. Auch arbeitet sie ‚die entscheidende Rolle der Humanwissenschaften des 18. Und 19. Jahrhunderts für die kulturelle Neubestimmung der Geschlechter‘ plausibel heraus. […] Brächte Honegger nicht immer wieder ausführliche zeitgenössische Textbeispiele, man hielte es nicht für möglich, mit welch selbstverständlicher Verachtung, beschränkter Intellektualität und brutalen Unterdrückungsphantasien die Aufklärer des auslaufenden 18. Jahrhunderts sich über Frauen äusserten, allen voran Rousseau, für den Frauen wie Tiere domestiziert und abgesondert werden müssten, da sie gewissenlose Wesen, ‚von der Natur beherrscht, in ihr untergeordnet‘ seien, vor denen Kultur und Sitten zu retten waren. So dienten nach Honegger Rousseau und dem aufstrebenden Bürgertum der Naturbegriff lediglich der Legitimation von Männerherrschaft und dem Ausschluss von Frauen aus der universellen Gattungsnorm, so auch den deutschen ‚progressiven‘ Aufklärern. Es ist schon recht niederschmetternd, die einseitige Rezeptionsgeschichte der Aufklärung und ‚Reformpädagogik‘ bis in die Jetztzeit nachzuvollziehen. Honegger belegt ausführlich anhand der Pädagogen Johann Heinrich Campe, Heinrich Basedow und Adolf von Knigge, wie ihr Konzept der Erziehung um den freiheitlichen Menschen der Befreiung der Männer und der Unterdrückung der Frauen diente. Den inneren Widerspruch zwischen Vorstellungen von der Erziehbarkeit und Bildungsfähigkeit aller Menschen einerseits und der gleichzeitigen Annahme der ‚naturgemässen‘ Minderwertigkeit der Frauen andererseits konnten die ‚Väter-Pädagogen‘ Campe, Basedow und Knigge im Hinblick auf ihre Töchter nur dadurch lösen, dass sie ihnen zwar eine umfassende Bildung und Erziehung zukommen liessen, ihnen aber gleichzeitig signalisierten, dass Gelehrsamkeit nicht eigentlich weibliche Tugend und Natur sei.
Honegger bringt auch Gegenbeispiele wie den Königsberger Kriminalgerichtsdirektor und Freund Immanuel Kants, Theodor Gottlieb von Hippel, der sich für die Gleichberechtigung von Frauen stark engagierte. So kritisierte er heftig die sich durchsetzende Methodologie des hierarchischen Vergleichs in der Humanwissenschaft, besonders aber den Empirismus, der Erfahrenswissen an einer Person – ‚private Kleinsterfahrung‘ (S. 88) – zur Wissenschaft und damit zur allgemeinen Wahrheit erklärte. Hippel wandte sich im Interesse der Frauen entschieden gegen den totalitären Erkenntnisanspruch der Wissenschaft und gegen die von der vergleichenden Anatomie entwickelte Weiblichkeitstheorie.
Die Französische Revolution machte den Emanzipationsphantasien der Frauen endgültig den Graus; im neuen Jahrhundert wurde alles darangesetzt, mit Hilfe der neuen wissenschaftlichen Methoden die Ungleichheit von Frauen und Männern zu besiegeln.“ Christiane Rothmaler, Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Nr. 4/1993

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