Viele Fortschritte, einzelne Rückschläge: Die Soziologin Claudia Honegger über Frauen in der Wirtschaft
DIE ZEIT: Frau Honegger, nach der Finanzkrise kursierte der Spruch: Hätten wir statt Lehman Brothers Lehman Sisters gehabt, wäre uns die Krise erspart geblieben. Wäre sie das?
Claudia Honegger: Es ist ein reizvolles Gedankenspiel, aber das Problem beginnt schon mit der Frage, wo wir denn diese Sisters hätten hernehmen sollen. Die Firma wurde von Brüdern gegründet, später wurden die Töchter ausgezahlt, und die Söhne führten die Bank weiter. Und wo nehmen Sie heute die Frauen für die obersten Etagen her? Es gibt sie ja nicht. Derzeit hat eine einzige Schweizer Großbank – Credit Suisse – eine einzige Frau in der Konzernleitung. Andererseits sollten wir uns nichts vormachen: In der ganzen Subprime-Krise spielten Frauen ebenfalls eine Rolle, gerade bei den Kleinkrediten, die da aufgehäuft wurden.
ZEIT: Der Spruch unterstellt, dass ein weibliches Wirtschaftsverhalten anders wäre als ein männliches – etwa weniger riskant, vielleicht nachhaltiger.
Honegger: Es gibt gewisse Traditionen, die andeuten, dass es vielleicht so wäre: Frauen denken zum Beispiel eher familienökonomisch. Aber damit dieses Denken einwirkt, müsste man ja erst das ganze Bankensystem ändern. Wir haben Institutionen sowie Regeln, und es ist wichtig, wie die Familien organisiert sind. So bleibt am Ende nicht viel Platz für die Frau oder den Mann an sich.
ZEIT: Also sind strukturelle Faktoren im Geschäftsalltag entscheidender als das Testosteron oder das Sozialverhalten der Frauen.
Honegger: Ich will nicht bestreiten, dass Testosteron relativ wichtig ist. Aber es braucht auch Institutionen, die ein Verhalten ermöglichen. Und diese Institutionen sind eher das, was es ausmacht.
ZEIT: Männliche oder weibliche Eigenschaften taugen also kaum, um eine wirtschaftliche Dynamik zu erklären?
Honegger: Man muss sie gemeinsam betrachten – gemeinsam mit der Organisation der Familien, gemeinsam mit dem Wirtschaftssystem. Dann aber spielen sie schon eine gewisse Rolle. Wenn zum Beispiel in einem Schwellenland die Kleinkredite an die Frauen vergeben werden und nicht an die Männer, wirkt sich dies anders aus. Es scheint sinnvoller zu sein.
ZEIT: Was würden Sie antworten, wenn UBS-Chef Oswald Grübel zu Ihnen käme mit der Frage: Frau Honegger, bringt es etwas, wenn ich mehr Frauen in meiner Investmentbank habe?
Honegger: Ja und nein. Das Investmentbanking hat sich hochgeschaukelt, es wurde radikalisiert: Die Leute sind Tag und Nacht eingespannt, alle müssen kämpfen, die Investmentbanker selber reden ja ständig in Kriegsmetaphern. Die Frage wäre also erstens, ob Frauen das durchhalten. Zweitens müsste man einmal untersuchen, ob diese Strukturen sinnvoll sind – oder ob man nicht besser ein paar Dinge anders organisiert, beginnend beim Alltag am Arbeitsplatz. Die Frauen, die dort arbeiten, beschreiben diesen Kampf in den Großraumbüros relativ drastisch. Es ist schwierig, sich als Frau dort zu positionieren, auch zwischen all den Zoten und dem Sexismus. Dennoch gibt es kaum Anzeichen, dass Frauen unter den jetzigen Bedingungen etwas anders machen würden und könnten. An der Konzernspitze wären aber ein paar Frauen mehr schon angemessen.
ZEIT: Das versucht man jetzt seit drei bis vier Jahrzehnten. Es klappt nicht recht.
Honegger: In dieser Zeit haben sich andere Faktoren ebenfalls stark verändert. Fusionen führten zu noch größeren Konzernen, die Amerikanisierung brachte eine Verschärfung des Top-down-Prinzips, und ich würde mal vermuten, dass dieses Umfeld einen Backlash begünstigt hat.
ZEIT: Die letzten Jahrzehnte haben zudem gezeigt, dass sich die Frauen nicht gerade um die Topkaderstellen reißen.
Honegger: Das ist schon richtig. Aber da sind wir wieder bei den Strukturen, den Arbeitszeiten. Zudem müssen Sie auch die Klein- und Mittelunternehmen berücksichtigen, und dort gibt es tatsächlich immer mehr Frauen in hohen Positionen.
ZEIT: Zumindest in Familienbetrieben, wo es inzwischen akzeptiert ist, wenn die Tochter den Laden übernimmt.
Honegger: Dort sowieso, aber auch sonst. Die Akzeptanz steigt, das Interesse an und von Frauen im Management steigt. Wir bilden jährlich Tausende BWL-Studentinnen aus, und irgendwo müssen die ja auftauchen. Da gab es zuletzt einen Trend zur Beratung – Coaching, Kommunikationsberatung, all das –, wo sich für die Frauen neue Felder jenseits der alten Hierarchien auftaten, aber das ist ja auch mal gesättigt. Also müssen sie in andere Positionen aufrücken.
ZEIT: Wir können also mehr Frauen im Middle Management erwarten?
Honegger: Ja, vor allem wenn immer wieder kleine Fortschritte erzielt werden bei Arbeitszeiten und Kinderbetreuungsmöglichkeiten. In dieser Beziehung sind wir in der Schweiz noch immer nicht gerade toll. Der Mütterlichkeitsdruck ist hier ausgeprägt. Die Idee, dass eine Frau eigentlich nicht mehr arbeiten sollte, wenn sie ein Kind hat, ist im deutschen Sprachraum noch gängig.
ZEIT: Sie haben soeben ein Buch* herausgegeben, in dem Bankangestellte ihre Sicht der Finanzkrise schildern. Spürten Sie dabei Unterschiede zwischen Bankerinnen und Bankern?
Honegger: Es ist auffällig, dass viele Bankerinnen von sich selber das Gefühl haben, sie seien nicht so stark in die Fehlentwicklungen involviert, sie hätten einen besseren Job gemacht.
ZEIT: Sie fühlen sich weniger schuldig?
Honegger: Sie haben vielleicht eher den Eindruck, selber eine anständige Funktion ausgeübt zu haben. Hier spiegelt sich aber auch eine Realität: Sie waren seltener in oberen Hierarchiestufen. Sie waren eher Befehlsempfängerinnen. Sie wären häufiger in der Kundenberatung tätig – und kaum im Investmentbanking.
ZEIT: Die Krise schien insgesamt eine Verschiebung ans Licht zu bringen: Männlich dominierte Branchen gerieten unter Druck, während eher feminine Bereiche wie Gesundheit und Bildung ungerührt blieben. Überhaupt steigt die Bedeutung der Frau mit der Verschiebung von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft.
Honegger: Die Banken gehören doch auch zum Dienstleistungsbereich! Und Gesundheit oder Bildung können Sie nicht allein betrachten: Wie finanziert sich das denn? Kommt hinzu, dass die Frauen gerade hier, in Gesundheit und Bildung, viel unbezahlte Arbeit leisten. Oder dass wir es hier mit vielen Tieflohnstellen zu tun haben.
ZEIT: Doch die Frauen bauen ihre Position im Bildungssystem massiv aus, und die jungen Frauen bilden sich besser aus als ihre Kollegen.
Honegger: Es stimmt, wir haben mehr Studentinnen, wir haben mehr Maturandinnen als Maturanden. Aber im Grunde hat sich nicht so viel geändert: Es gibt feminisierte Bereiche – und es gibt andere Fächer, wo die Lage noch ist wie früher.
ZEIT: Doch in wichtigen Fächern hat der Trend gedreht: BWL, Jus, Medizin. Die Mehrheit kippt.
Honegger: Ja, hier ist es mehr oder weniger fifty-fifty, nur: Was besagt das denn? So ein Verhältnis ist ja eigentlich völlig normal.
ZEIT: Dass daraus ein Fifty-fifty-Verhältnis an den Schaltstellen erwächst, ist also eine Illusion?
Honegger: Die Geschichte zeigt, dass dies nicht automatisch passiert. Immerhin haben die Frauen in Europa im Rahmen des Bildungssystems stark aufgeholt. Aber im Iran gibt es auch mehr Studentinnen als Studenten. Doch was heißt das? Es heißt schon etwas: Wir können davon ausgehen, dass diese hochgebildeten Frauen irgendwann etwas verändern werden. Aber was, ist nicht absehbar.
Claudia Honegger ist Professorin am Institut für Soziologie an der Universität Bern. Die Fragen stellte Ralph Pöhner.
http://www.zeit.de/2010/39/CH-Honegger