Frauen in der Soziologie. Neun Portraits

„Dass das Verhältnis der Frauen zur modernen Gesellschaft ein äusserst verwickeltes ist, gehört zu jenen Einsichten, die man nicht erst der Geschlechterforschung des 20. Jahrhunderts zu verdanken hat. Germaine de Staël gehört – so die Berner Soziologin Claudia Honegger – zu jenen Soziologinnen avant la lettre, die früh schon, an der Schwelle zum 19. Jahrhundert, einen Blick für die Mechanismen der Verzahnung von Gesellschaft und Geschlecht hatten. Überhaupt die ‚frühen‘ Soziologinnen: Sind sie bekannt? Der anzuzeigende Band geht davon aus (was wohl zutrifft), dass dem nicht so ist. In neun Porträts werden Sozialwissenschaftlerinnen vorgestellt, deren Name und Werk zu wenig bekannt sind. […] Der Band füllt eine Lücke in der Geschichte der Soziologie.“
Ursula Pia Jauch, Neue Zürcher Zeitung, 11./12.04.1998

„Die Geschichte der Soziologie wie sie in den Lehrbüchern des Faches geschrieben steht, zählt als ihre Klassiker ausschliesslich Männer auf. Wie schlichtweg ungenau die Annahme ist, nur Männer hätten bedeutende Beiträge zur akademischen Soziologie geleistet, zeigt ein Band mit neun Porträts von europäischen und nordamerikanischen Soziologinnen aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Alle in diesem Band vereinigten Wissenschaftlerinnen haben die Soziologie als Beruf betrieben und mit ihren Studien dazubeigetragen, dass sich das Fach an den Hochschulen etablieren konnte. […] Die allesamt spannend verfassten und kontextuell gut eingebetteten Porträts – die AutorInnen besprechen Lebensläufe und Werkgeschichten – sind eine erhellende Lektüre für diejenigen, die sich dafür interessieren, wie sich der sozialwissenschaftliche Kanon oder mit den Worten der Herausgeberinnen ‚das Gedächtnis der kognitiven Tradition des Faches‘ um die Frauen erweitern lässt. Der Band schliesst mit ausführlichen Einzelbiographien zu Werk und Kritik der porträtierten Soziologinnen.“
Doris Lüthi, FRAZ. Frauenzeitung, Nr. 3/1998

„Seit Jahrzenten fordert die faktische Dominanz westlicher, judäo-christlich geprägter, männlich definierter, von Menschen weisser Hautfarbe beherrschter und aus der Gedankenwelt des letzten Jahrhunderts stammender Vorgaben bei der bisherigen Identitätskonstruktion der Soziologie systematischen Widerspruch heraus. Angefeuert durch vehemente Forderungen nach stärkerer Respektierung unterschiedlicher nationaler, regionaler und sprachlicher Traditionen ertönt der Ruf nach Etablierung alternativer Ahnengalerien der Soziologie. Der Gedanke, dass es keine ‚geborenen‘ Klassiker, sondern nur ‚gemachte‘ gibt, verweist darauf, dass es weniger das verdienst früherer, sondern eher das Bedürfnis heutiger Soziologen ist, welches die ‚Klassizität‘ historischer Vordenker begründet.
Dieser werden als Symbolfiguren installiert, um sich selbst und anderen zu demonstrieren: ‚Hier wird Soziologie betrieben.‘ Gerade in jenen wissenschaftlichen Disziplinen, in denen einen unbestrittene methodologische oder inhaltliche Identität oder gar beide fehlen, haben Klassiker die zentrale Funktion der Stiftung und Begründung von Identität. Bei der Sammlung ‚Frauen in der Soziologie‘ stellt sich deshalb die Frage, ob hier ein eigenständiges Frauenhaus der Soziologie gebaut wird, oder ob es darum geht, Frauen einen besonderen oder einen regulären Platz im universalen Haus der Soziologie zu erobern. […]
Soll die Soziologie ein Projekt von dead white western males bleiben, oder soll bewiesen werden, dass auch weibliche Autoren an seiner Schaffung und seinen Erträgen massgeblich beteiligt waren und sind? In dieser Frage verfolgt die Sammlung, die die Berner Soziologin Claudia Honegger zusammen mit ihrer Berliner Kollegin Theresa Wobbe vorlegt, einen unentschiedenen Kurs. Mit den stilistisch sehr unterschiedlichen Skizzen zu Martineau, d’Héricourt, Webb, Addams, Weber, Vaerting, Wunderlich, Thomas und Jahoda soll einerseits gezeigt werden, dass es für Frauen in der Soziologie ‚eine besondere Konstellation‘ für wissenschaftliches Arbeiten gebe. Diese weibliche Besonderheit liege im Dreieck von Sozialreform, Frauenbewegung und Sozialforschung, was dazu führe, dass Frauen in der Soziologie sich von ihren männlichen Kollegen unterscheiden. Zum anderen sollen die ‚Pionierinnen‘ von Sozialtheorie und empirischer Sozialforschung im Gedächtnis der allgemeinen Geschichte der Soziologie verankert werden, als deren ‚verborgener Teil‘ und ‚vergessene Tradition‘ sie bislang vernachlässigt wurden.“
Dirk Kaesler, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.06.1998

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