Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib

„Während, angeregt durch Michel Foucault, eine Reihe namhafter Historiker und Historikerinnen – genannt seien nur Lorraine Daston, Alf Lüdtke, Arlette Farge und Elisabeth Badinter – die fast obsessive Beschäftigung der Aufklärer mit Wilden, Irren, Pöbel und Kindern rekonstruiert haben, harrt das weibliche Geschlecht bis heute einer Chronistin dieses Teils seiner Geschichte. Diese Lücke in der geistesgeschichtlichen Erforschung der Anfänge der Moderne nun endlich zu schliessen, verspricht das soeben erschienene Buch der Soziologin Claudia Honegger ‚Die Ordnung der Geschlechter‘. […] Mir ironischer Distanz und beissender Schärfe zeichnet Claudia Honegger diese Geschichte nach, lässt die Schriften auch manch überraschend kritischer Gelehrter Revue passieren und gibt Einblick in das Milieu, dem diese Traktate entsprungen sind. Mit diesem Buch wurde endlich ein weiteres – und schliesslich nicht ganz unwichtiges – Kapitel über die Kehrseiten der Moderne geschrieben. Wie freilich diese ‚science des femmes‘ die Ordnung der Geschlechter in der Tat veränderte, in welchem Verhältnis Leichensezierungen  und Traktate über Seele und Moral der Frauenzimmer zum weiblichen Alltag standen, bleibt weiterhin im dunkeln. Die Erforschung der deutschen Sozialgeschichte der Geschlechterbeziehungen ist auch nach Claudia Honeggers Buch ein Desiderat, dem sich Historiker und Historikerinnen nicht entziehen sollten.“ Rebekka Habermas, Süddeutsche Zeitung, 16.5.1991

„Claudia Honegger setzt einem glatten, harten Epochenabschnitt um das Jahr 1800 die These entgegen, dass die Entwicklung, wie sie sich für die Frau – genauer wohl für die Frauen – abzeichnete, von diffusen Umbrüchen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts charakterisiert ist. Sie lässt dann die sciences de l’homme der Aufklärungszeit, deren generisches Maskulinum in der französischen Sprache übrigens so viel unverkennbarer verankert ist als in der deutschen, gleich zweifach mit ihren Abweichungen kollidieren: zum ersten mit einer ‚weiblichen Sonderanthropologie‘, zum zweiten mit dem ‚deutschen anthropologischen Sonderweg‘, den die Wissenschaften vom Menschen mit Blick auf die Frauen nehmen. […] In Claudia Honeggers kultursoziologischer Studie stellt sich heraus, dass um die Wende zum 19. Jahrhundert philosophische, politische oder auch sozial-ethische Denkmodelle, die die Rolle der Frauen umkreisen und versuchen, geschlechtsspezifische Zuweisungen zu begründen, vom unaufhaltsamen Aufstieg der Anatomie abgelöst werden. […] Mit den Quellen […], die herangezogen werden, und mit der Umsicht, die dabei waltet, Behauptungen nicht nur in die Welt zu setzen, sondern historisch zu belegen, ist ‚Die Ordnung der Geschlechter‘ nicht nur ein wichtiges Buch, sondern ein vorbildhaftes. Das gilt besonders dort, wo die Studie zeigt, dass eine Archäologie der Weiblichkeit im Sinne Foucaults kein Tummelplatz für individuelle Vorlieben und dunkles Raunen ist, sondern harte empirische Arbeit. Was da die Psycho-Physiologie für den ‚Mensch als Weib‘ angerichtet hat, das erkannte schon Lou Andreas-Salomé. Vor bald hundert Jahren hat auch sie versucht, die Uhr anzuhalten, den Spiess umzudrehen.“
Rose-Maria Gropp, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 241/1991

„Claudia Honegger, seit 1990 Professorin für Soziologie an der Universität Bern, legt mit ihrer Habilitationsarbeit ‚Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib 1750-1850‘ eine äusserst interessante Studie vor über den Diskurs der Geschlechter. Wer mit der Autorin, deren humorvoll-ironischer Stil die Lektüre des wissenschaftlichen Buches erleichtert, den Rückblick ins 18. Jahrhundert wagt, kommt keineswegs von den im Moment wichtigen Fragen weg: Es ist nämlich frappant festzustellen, wie viele Argumente, die vor 200 Jahren die Diskussion in Gang hielten, heute noch kursieren und sich, eingehüllt in ein empirisches Mäntelchen, als neu ausgeben.“ Guido Kalberer, Tages-Anzeiger, 12.10.1991

„Mit anderen feministischen Autorinnen hat Claudia Honegger den Ausgangspunkt gemeinsam, nämlich die Enttäuschung darüber, dass die allgemeinen Menschenrechte, wie sie die Französische Revolution proklamierte, Männerechte blieben und noch einmal fast 200 Jahre vergehen mussten, bis die rechtliche Minderstellung der Frauen beendet war. […] Als nützlich für die Leserin erweist sich auch die Nähe, welche die Autorin durchweg zum Quellenmaterial behält, aus dem sie ausführlich zitiert, um zu informieren, nicht nur zu beweisen. Es ist heterogen, besteht aus Briefwechseln, philosophischen Schriften, journalistischen Arbeiten und medizinischen Werken, von französischen und deutschen Autoren vor und nach 1800 geschrieben. […] Es ist der Untersuchung gut bekommen, dass Honegger sich eher von Foucaults Wissensarchäologie als von unserem gekränkten Bewusstsein hat leiten lassen. Die Sexualisierung des weiblichen Menschen zur Frau, die um ihren Uterus, dann, ab 1824 um ihre Eierstöcke herum gebaut ist, mit Kopf und Seele und allem, was den Menschen sonst noch ausmacht, hat nicht nur im 19. Jahrhundert, sondern bis heute viel Verwirrung gestiftet.“ Katharina Rutschky, Frankfurter Rundschau, 17.8.1991

„Alles, was wir an dem wahren Weibe Weibliches bewundern und verehren, ist nur eine Dependenz des Eierstocks. Das schrieb 1848 der damals 27jährige Arzt Rudolf Virchow. Er tat es in einer Zeit politischer Auf- und Umbrüche, die er als selbsternannter ‚Anwalt der Armen‘ und Verfechter einer ‚medicinischen Reform‘ nach Kräften beförderte. Politisches und wissenschaftliches Fortschrittsdenken gingen bei Virchow eine enge, zeitlebens bewahrte Verbindung ein; als Vertreter einer naturwissenschaftlichen Medizin praktizierte er dieses Denken ebenso wie als Mitbegründer der liberal-demokratischen Fortschrittspartei. Wenig Neues fiel ihm hingegen, wie das Zitat beweist, zu den Geschlechterverhältnissen ein. ‚Weibliches‘ definierte er als blosse Funktion anatomisch-physiologischer Gegebenheiten, als Ausdruck einer tief im Körperinnern verborgenen Struktur. Der Arzt, so die logische Folgerung, sei daher als profunder Kenner jenes Körperinneren zugleich auch der berufene Interpret und Kontrolleur wahrer Weiblichkeit.
Eben das hatten vor ihm schon viele andere Mediziner behauptet – und würden nach ihm noch zahllose weitere tun. Wem dabei die Palme der Originalität gebührte, ist schwer zu entscheiden. Fest steht aber, dass die Variation des immer Gleichen auf diesem Gebiet spätestens seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert unverrückbar zum ärztlichen Argumentationsrepertoire dazugehörte. Die physische Verschiedenheit der beiden Geschlechter, so die These, lege den Grund zu einer auch in ihrem Seelenleben, ihrem Nervenkostüm und ihren sozialen Beziehungen sichtbaren Differenz. Wo die ‚ursprüngliche‘ Differenz jeweils lokalisiert wurde, ob im Knochenbau, in den Windungen der Harnröhre oder in der Anordnung und Ausformung der Sexualorgane, unterschied sich von Autor zu Autor. Immer aber zog man die gleichen Schlüsse: Männer und Frauen seien körperlich und geistig fundamental verschiedene Geschöpfe, die folglich auch in der Gesellschaft getrennte und hierarchisch gestaffelte Plätze auszufüllen hätten.
Wie diese somatische, kulturelle und soziale ‚Ordnung der Geschlechter‘ zwischen 1750 und 1850 entwickelt und ausbuchstabiert wurde, hat jetzt Claudia Honegger in ihrer Frankfurter Habilitationsschrift nachgezeichnet. Als erfahrene Grenzgängerin zwischen Geschichte und Soziologie hat sie sich ein Thema gewählt, das bislang weder in der einen noch in der anderen Disziplin systematische Beachtung gefunden hat. Zwar ist die ‚Geschlechtercharakterologie‘ der bürgerlichen Moderne mittlerweile vielerorts beschrieben und kritisiert worden; die Mühe, sie einer gründlichen wissenssoziologischen und/oder sozialhistorischen Analyse zu unterziehen, hat sich jedoch kaum jemand gemacht.
Das Buch der Berner Soziologieprofessorin füllt daher mit seinem Anspruch, das moderne Deutungsmuster ‚Geschlechterdifferenz‘ als ‚Zusammenhangsphänomen‘ rekonstruieren zu wollen, eine deutliche Leerstelle aus. Die Ambition der Autorin reicht allerdings über dieses forschungsstrategische Interesse hinaus: Ihr geht es nicht zuletzt darum, ihren Diskurs über den Diskurs wissenschaftlich anschlussfähig zu gestalten. Das geschieht vor allem durch eine harsche Kritik an den gängigen Modernisierungstheorien, die die ‚gleichsam inverse Strukturierung der kulturellen Moderne‘ geflissentlich übersehen und statt dessen von einem allgemeinen menschlichen Individuierungsprozess sprechen. Honeggers Forderung, den scharf akzentuierten ‚Dualismus der Geschlechter‘ in die theoretische Reflexion über die ‚Grundlagen der modernen Welt‘ einzubeziehen, ist daher auch ein Plädoyer für eine neue, differenzierende Welt-Sicht, die die andere, dunklere Seite der Modernisierungsgeschichte nicht mehr vorsorglich-fürsorglich ausblendet. Eine solche Verdrängung lässt sich, glaubt man der Autorin, um so weniger rechtfertigen, als die frühen Baumeister jener ‚modernen Welt‘ sehr genau um diese andere Seite wussten und mit ihrem Wissen auch nicht hinter dem Berg hielten.
Sie legten sogar ausgesprochen viel Wert darauf, die neue Ordnung hell-dunkel zu kolorieren, und griffen dafür mit Vorliebe auf den Kontrast von Männlichkeit und Weiblichkeit zurück. Schon die Aufklärung hatte, so Honegger, ‚die Frau aus der Generalisierungsbewegung des Menschen hinauskomplimentiert‘. Erst die ‚lärmende Verwissenschaftlichung der Differenzdebatte‘ aber, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts einsetzte, verlieh diesem Ausschluss höhere, eben wissenschaftliche Weihen und wischte Zweifel, Skepsis, Widerspruch mit autoritärer Geste hinweg.
Die verschiedenen Stationen im ‚Transformationsprozess der Geschlechter-Codierungen‘ spiegeln sich im Aufbau des Buches. Die erste Hälfte der etwas über 200 Textseiten beschäftigt sich mit den kulturellen Umbrüchen der Aufklärungszeit, mit ihrer Wahrnehmung durch einzelne Frauen und Männer sowie mit den Debatten, die die ‚neue Unordnung der Geschlechter‘ auslöste. Anhand einiger wohlbekannter zeitgenössischer Texte wird hier – übrigens nicht zum ersten Mal – das Bild einer offenen, experimentierfreudigen Epoche skizziert, in der ‚vieles nebeneinander möglich war‘: egalitäre Entwürfe à la Hippel und Wollstonecraft, Konzepte einer autonomen weiblichen Kultur (Emilie von Berlepsch) ebenso wie Ansätze einer neuen politischen ‚Männerbewegung‘ (Rousseau, Brandes, Meiners, Fichte). Zwar gingen all diese Texte, die progressiven nicht anders als die konservativen, von der Annahme einer fundamentalen Geschlechterdifferenz aus. Wo jene Differenz jedoch konkret angesiedelt sei, in welchen Formen sie sich ausdrücke und welche Folgerungen sozialer, kultureller oder politischer Art sich daran knüpften – darüber herrschte (noch) keine Einigkeit.
Das änderte sich erst um die Jahrhundertwende, als sich das ‚argumentative Chaos der bürgerlichen Geschlechterverhältnisse‘ ordnete, der Diskurs sich verengte und verwissenschaftlichte. Diesem Prozess ist der zweite, originellere und innovativere Teil des Buches gewidmet. Er umkreist die Anstrengungen zahlreicher Mediziner seit den 1770er Jahren, den Unterschied zwischen den Geschlechtern in ihrer Körperlichkeit zu begründen. Mittels einer vergleichenden Anatomie und Physiologie goss die Medizin gewissermassen die unumstösslichen Fundamente eines Gebäudes, in das nach und nach auch andere Disziplinen einzogen, um gemeinsam an einer ‚Wissenschaft vom Menschen‘ und ‚vom Weibe‘ zu basteln.
Am intensivsten kooperierten Philosophie und Medizin in dem Bemühen um eine empirisch kontrollierte Sicht der menschlichen Natur. Aus dieser Zusammenarbeit entstand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Anthropologie, der es in den Worten eines ihrer frühen Vertreter darum ging, ‚Körper und Seele in ihren gegenseitigen Verhältnissen, Einschränkungen und Beziehungen zusammen (zu) betrachten‘. Zunächst an einem ‚Totalgemälde des Menschen‘ interessiert, verlagerte sich die Aufmerksamkeit schon bald auf das, was Claudia Honegger ‚weibliche Sonderanthropologie‘ nennt. Ausgehend von einer ‚radikalen Differenz‘ in der physischen Organisation, entwickelten französische und, etwas später und etwas anders, deutsche médecins-philosophes eine komplexe Psycho-Physiologie der Geschlechter, die keine Fragen offenliess. Bis ins kleinste Detail wurde nachgewiesen, dass und warum Frauen und Männer verschieden seien und was daraus für ihre soziale, kulturelle und politische ‚Wirklichkeit‘ folgen müsse. In seltener Einmütigkeit kamen alle Autoren zu einem Ergebnis: ‚Herrschaftsanspruch über alle Geschöpfe, Krieg, geistige Jagd und innerweltliches Handeln für die Männer; Unterwerfung, Abhängigkeit, geistige Trägheit und innerleibliches Dulden für die Frauen.‘
Daran war im 19. Jahrhundert nicht mehr zu rütteln; Widerspruch wurde nicht zur Kenntnis genommen. Die ‚physiologische Herabwürdigung des weiblichen Organismus‘, die ein einsamer Kritiker bereits 1824 monierte, fand nicht nur in der modernen Evolutionstheorie, sondern auch und vor allem in der Gynäkologie als ‚eigenständiger Wissenschaft vom Weibe‘ ihre Fortsetzung. Hatte sich der Mann längst von seinem somatischen Geschlecht emanzipieren können, blieb die Frau unerbittlich daran gefesselt. Kein Wunder also, dass sich ihr Arzt zum ‚Sachverständigen in allen Frauenfragen‘ aufschwingen und, wie ein Dresdner Gynäkologe im Sommersemester 1913, für Studierende aller Fakultäten über ‚Die Stellung der Frau im modernen Leben‘ dozieren durfte.
Mit solchen Ausblicken schliesst Claudia Honeggers Studie, die in Foucaultscher Tradition als eine ‚Archäologie der Gynäkologie‘ verstanden sein möchte. Ihre Ausgrabungen, mit Energie und mitreissendem Tempo betrieben, bringen eine Fülle seltsamer Konfigurationen ans Tageslicht, die sich, kunstvoll arrangiert, zu einem beeindruckenden ideengeschichtlichen Panorama verdichten. In stilsicherer, wohltuend distanzierter und nur gelegentlich etwas gespreizter Sprache werden Gedankensysteme seziert, deren kulturelle Deutungsmacht ausser Zweifel steht. Die Methode der Einzelfallanalyse erlaubt es der Autorin, präzise Analyse mit konkreter Anschaulichkeit zu verbinden und den ‚verwickelten Verschiebungen‘ zeitgenössischer Argumente auf die Spur zu kommen. Insofern kann man ihr Buch als minutiöse historische Rekonstruktion des Differenzdiskurses zu Beginn der Moderne nur begrüssen.“ Ute Frevert, Die Zeit, Nr. 39/1991

„Ihr Buch trägt den Titel ‚Die Ordnung der Geschlechter‘. Ein Titel mit hohem programmatischem Anspruch, tritt er doch direkt in Konkurrenz zu Michel Foucaults berühmt gewordenem ‚Die Ordnung der Dinge‘. Und so verwundert es nicht, dass sie gleich im ersten Satz der Einleitung mit dem Foucaultschen Dictum beginnt: ‚In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts betritt der Mensch die Thematisierungsbühnen von moderner Kultur, Politik und Wissenschaft.‘ Um es freilich ein paar Seiten weiter mit dem Halbsatz zu ergänzen: ‚…kurz darauf aber folgte ihm das Weib und damit das vertrackte Problem mit dem Geschlecht‘. Die Berner Soziologieprofessorin wirft den Theorien der Moderne, auch derjenigen Foucaults, vor, dass sie aufgrund der Unterschätzung der Bedeutung, die die Differenzierung der Geschlechter für ein Verständnis der Moderne hat, ungenügend beziehungsweise mit blinden Flecken behaftet sind. Sie übersehen, dass ‚mit dem gespannten Zugleich von menschlichen Verallgemeinerungen und geschlechtlichen Besonderungen eine systematische Verkehrung, eine Art Inversion in die Herzkammer der Moderne eingelassen‘ ist. Claudia Honegger hat in ihrer Untersuchung einen unschätzbaren Fundus von Texten zu Psycho-Physiologie und weiblicher Sonderanthropologie zutage gefördert, der allein schon ihr Buch zu einem Standardwerk machen dürfte. Zu wünschen wäre freilich, dass ihre Kritik an der Geschlechterblindheit der Soziologie, die sie in bester Foucaultscher Tradition in historischen Einzelfallanalysen einholt, so ernst genommen wird, dass ihr Buch auch in dieser Hinsicht den Status eines standardsetzenden Werkes erhält.“ Astrid Deuber-Mankowsky, WOZ, Nr. 5/1992

„Der Ausschluss der Frau aus der Generalisierungsbewegung des Menschen in der Aufklärung, so lautet die bissige Kritik der Autorin, wird von den Modernisierungstheorien, sozusagen ‚in einer gigantischen Parallelaktion‘, wiederholt: man widmet sich mit Vorliebe einem geschlechtlich neutralisierten ‚Gattungswesen‘ Mensch. Eine differenzierte Betrachtung unterbleibt jedoch auch seitens der Frauenforscherinnen: die masslose Redundanz im Unterdrückungsdiskurs, die ewige Wiederholung der immer gleichen, ‚natürlichen‘ Begründungsmuster verführen dazu, Veränderungen und Verschiebungen in den Organisationsformen des Differenzdiskurses gar nicht mehr zu beachten. An dieser Stelle setzt Claudia Honeggers Forschung ein. Sie mutet sich und dem Leser eine minuziöse, fast skrupelöse Ausgrabungsarbeit zum Differenzdiskurs zu Beginn der Moderne zu. Unter der Oberfläche von scheinbar ewiggleichen Argumentationsfiguren, mit denen ‚Natur‘ zur Begründung von Geschlechterdifferenz aufgehoben wird, werden verwickelte Verschiebungen in den semantischen und normativen Gehalten sichtbar: insbesondere zeigt sich eine zunehmende ‚Verwissenschaftlichung‘ der Differenzdebatte, die in der Erfindung der Gynäkologie als Wissenschaft von der Frau und dem Einsetzen des Gynäkologen als Spezialisten für die Frauenfrage ihren Höhepunkt findet. […] Claudia Honegger betreibt ihre Archäologie der Weiblichkeit auf gut 200 Seiten. Illustrationen, zahlreiche Anmerkungen und ein ausführliches Literaturverzeichnis ergänzen den Textteil. Beeindruckend ist die Präzision, mit welcher sie ihre ideengeschichtliche Rekonstruktion betreibt.“ Sabine Richebächer, Neue Zürcher Zeitung, Nr. 210/1992

„Claudia Honegger rekonstruiert den Umbruch der Deutungsmuster zwischen 1750 und 1850 und verknüpft ihn mit der Entwicklung der Wissenschaften vom Menschen. […] Die Genauigkeit und der Materialreichtum ihrer Herleitung überrascht nicht, wenn man weiss, dass es sich um Claudia Honegger’s Habilitationsschrift handelt, die sie hier vorlegt. Ihr Stil hat aber nichts Akademisch-Sprödes. Die bilderreiche – dabei nie unpräzise – Sprache klingt eher ein wenig nach den ‚Neuen Franzosen‘ und macht das Buch empfehlenswert auch für die, für die der Unterhaltungswert von Geschichtsbetrachtung im Vordergrund steht.“ Nena Helfferich, Freiburger Stadtzeitung, Nr. 10/1991

„Honeggers […] brillante Arbeit, ihre Habilitationsschrift, verfolgt mit beindruckender Fülle an Quellen ideengeschichtliche Transformationen von Reflexionen über ‚die Ordnung der Geschlechter‘ zwischen 1750 und 1850. Deren zunächst kulturelle, soziale und politische Fragestellungen entwickeln sich durch Verschränkungen von Philosophie und Medizin zu einer Art ‚weibliche Sonderanthropologie‘. Die fand ihren ‚eigentlichen Wirkungsort‘ in der Gynäkologie, in vergleichender Anatomie ihre Basis-Wissenschaft. Ebenso fasziniert Honeggers Darstellung der Geschlechterdebatte als Krisensymptom im Zusammenhang des gesellschaftlichen Übergangs von einer ‚effeminierten feudalen Zivilisation‘ zur ‚eher mannhaft gesunden, bürgerlichen Kultur‘, oder des Zusammenwirkens medizinischer Differenztheorien mit ‚Geschlechter-Philosophien deutscher Dichter und Denker […].“ Heidrun Lembach-Küster, EKZ-Informationsdienst, 1991

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