Denis Hänzi (2007): Wir waren die Swissair. Piloten schauen zurück.

»Den Schweizer Buben und ihrer Sehnsucht« widmete der bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommene Swissair-Pilot Walter Ackermann sein Kinderbuch »Fliegt mit!«. Vom »Motorensang über Heimat und Ferne« und von »Silberflügeln, die das Schweizerkreuz über den Himmel Europas tragen«, wolle er berichten – und appelliert an die Jungen: »Ihr dürft stolz sein auf euren Luftverkehr. Er hat die Grenzen unseres Landes gesprengt, hat sich den Anteil am Luftmeer erobert, der ihm heute zukommt. Ihr seid die Zukunft. Seid auf der Hut, dass euch das errungene Neuland nicht wie so manch anderes in der Geschichte unseres Landes wieder aus der Hand gewunden wird!«. Gut sechs Dezennien liegen zwischen Ackermanns Mahnung und dem Jahr, als bei der Swissair plötzlich gar nichts mehr lief: Am 2. Oktober 2001 wurde ihr Flugbetrieb weltweit eingestellt, nachdem für die SAirGroup der Antrag auf Nachlassstundung angekündigt worden war. Über Nacht hielt der Begriff ›Grounding‹ Einzug ins deutschschweizerische Alltagsvokabular, rasch war von einem ›nationalen Trauma‹ die Rede – und die juristische Aufarbeitung der Konzernpleite wurde flugs als ›Jahrhundertprozess‹ medialisiert.

Die vorliegende Studie indes situiert sich jenseits laut rotierender Mutmassungen, ob nun Philippe Bruggisser oder Mario Corti, der alte Verwaltungsrat oder der Bundesrat, eine Grossbank oder gar der ›11. September‹ die Hauptschuld am Untergang der Swissair trage. Sie widmet sich vielmehr den Sicht- und Denkweisen jener im Dienste der Swissair stehenden Männer, die für den sicheren, pünktlichen und möglichst unturbulenten Verkehr der Passagierflugzeuge mit dem Schweizerkreuz auf der Heckflosse zu sorgen hatten: Hier stehen vier ehemalige Swissair-Piloten im Zentrum, die sich zwischen Mitte der 1970er und Anfang der 1980er Jahre der Fliegerei verschrieben haben – in jener von Fortschrittsoptimismus geprägten Epoche, als die Swissair den Ruf der weltbesten Airline genoss und eine prosperierende, stolze und unabhängige Schweiz verkörperte. Worin sehen die Piloten rückblickend die Besonderheiten ›ihrer‹ Swissair? Welches berufliche Selbstverständnis haben bzw. hatten sie? Wie haben sie das Ende ihrer langjährigen Arbeitgeberin erlebt? Und was halten sie von der Übernahme der Swiss – unserer ›neuen‹ nationalen Fluggesellschaft – durch die Deutsche Lufthansa?

Zur Einführung in die Sinnwelt der schweizerischen Zivilluftfahrtindustrie bietet die Studie einen historischen Abriss zur Swissair von ihrer Gründung in den frühen 1930er Jahren bis in unsere Tage. Hierauf werden einige Besonderheiten des beruflichen Handlungsfelds der interessierenden Piloten – insbesondere betreffend die Selektion des Swissair-Cockpitpersonals – erörtert. Das Kernstück der Publikation bildet die Rekonstruktion der Selbstbilder, berufsbezogenen Deutungen und alltagsweltlichen Zeitdiagnosen der vier Piloten anhand (berufs-)biografischer Interviews. Die Ergebnisse werden in Form soziologischer Porträts dargelegt.

Wiewohl die einzelnen Fallrekonstruktionen klare milieuspezifische Unterschiede im Denken der Piloten erkennen lassen, ist ihnen ein überaus starkes ›kollektives Imaginäres‹ gemein, in welchem die Swissair als eine Entität erscheint. Sei es als ganzes Unternehmen, als Solidargemeinschaft oder Riesenfamilie, als eine Welt der guten Mannen oder als ein Lebensstil: Die besondere Bedeutung der Swissair als überindividuelle, ja nationale Identifikationsfigur beruhte ganz wesentlich in ihrer Besetzbarkeit mit unterschiedlichen Einheitlichkeitsvorstellungen. Vorgelegt wird ein kultursoziologischer Beitrag nicht nur zur Frage der konkreten (beruflichen) Identität einer bestimmten Generation von Berufspiloten in der Schweiz, sondern auch zum quasi-sakralen Phänomen ›Swissair‹ als einer nationalsymbolischen Konfiguration von beträchtlichem Beharrungsvermögen.

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