Strukturierte Verantwortungslosigkeit. Berichte aus der Bankenwelt

„Das Suhrkamp-Buch versammelt neben klugen Essays rund dreissig Gespräche mit Bankern. Befragt wurden Derivatehändler, Business Analysts, Fund Manager, Risk Manager, Heads of Bond Trading, kurz: eine Auswahl genau jener Akteure der Finanzsphäre, die deren Höhenflug und Absturz persönlich mitgestaltet und miterlitten haben. Aber was fragen Soziologen Ökonomen? Soziologisches. Nicht dass dies unergiebig wäre, im Gegenteil. Das spezielle soziologische Interesse an Mentalität, Habitus, Weltanschauung, sozialen Welten und Strukturen versetzt die befragten Finanzakteure in Nachdenklichkeiten jenseits ihrer Routine und ermöglicht in den Gesprächen tiefe Einblicke in ihre Erfahrungswelt. Wo Medien und Öffentlichkeit sich darauf verständigt haben, Banker auf raffgierige Bösewichte zu reduzieren und ihnen mit Wut, Verachtung und Vorwürfen entgegenzutreten, entstehen hier differenzierte Bilder von Akteuren, die seit der Krise zwischen ‚zynisch-tragischer Ohnmacht‘, offensiver Schuldabwehr, Ratlosigkeit und trotzig-einsichtsvoller Professionalität hin und her schlingern. […] Alle Ausflüchte, alle Eingeständnisse bei der Frage nach der Mitverantwortung der Befragten lassen sich ohne Kenntnis der Finanzlogik kaum beurteilen. Und diese Frage ist nun mal die Gretchenfrage um, die sich das Buch dreht. Grotesk, aber auch typisch ist die Denkweise eines Geschäftsführers einer Bank. Weil ‚die Banker die Mathematiker und Modellbauer‘ nicht verstünden, sagt er, bleibe ihnen nichts anderes übrig, als sich auf sie zu verlassen. Folglich trügen die Banker ‚in gewissem Sinn keine Verantwortung, weil sie nicht wissen, was sie tun‘. Pontius Pilatus wusch seine Hände in Unschuld, diese Banker waschen sie in Unwissenheit. Genauer gesagt, in selbstverschuldeter Unwissenheit. Höchst interessant wäre gewesen, ob sich die Banken bei ihrem Eigenhandel dieselbe verantwortungslose Ignoranz leisten wie beim Beraten und Handeln für Investoren und Anleger. Verdeckter Einsatz von Nichtwissen ist die riskanteste Form der Täuschung – aber auch der Selbsttäuschung. Wie auch immer, jedenfalls schliessen auch die Soziologen die Black Box des avancierten Finanzmarktes nicht auf. Hier hätten die ökonomische Fachkunde des Bankwesens und die soziologische Fachkunde der sozialen Konstruktion des ganzen Geschäfts in seltener Weise kooperieren können. Verpasste Chance. Jenseits dessen aber liefert das Buch auf seinem genuinen Feld bedeutsame Ergebnisse.“ Andreas Zielcke, Süddeutsche Zeitung, Nr. 129/2010

„Die 31 Interviews mit Personen, die ein weit gespanntes Spektrum von Statuspositionen und Aufgabenbereichen abdecken, bieten ein Panorama der in der Bankenwelt Agierenden, ihrer Praktiken und Denkstile. Die mit ergänzenden bzw. korrigierenden Informationen und Interpretationen verbundene, nur teilweise direkte Wiedergabe der Gespräche sorgt für Knappheit, Anschaulichkeit und Pointiertheit. Eine durch die Interview-Eindrücke inspirierte Anordnung in vier ‚Felder‘ – ‚Spielwiese‘, ‚Rennbahn‘, ‚Anstandsbühne‘ und ‚Grauzone‘ – ergibt zusammen mit dazwischen geschalteten Essays eine Art Führung durch die Bankenwelt an der Hand von Feldforschern, die gleichermassen um Fairness und um Nüchternheit bemüht sind. […] Schon John Maynard Keynes sprach in den 1930er Jahren von einem ‚Wettkampf der Gerissenheit‘, bei dem derjenige Sieger ist, der den Schwarzen Peter an seinen Nachbarn weitergibt, bevor die Partie zu Ende ist – während der, der das öffentliche Wohl am meisten fördert, am meisten Kritik auszuhalten hat. Und schon bei Keynes heisst es auch, dass die Einführung einer beträchtlichen Umsatzsteuer auf alle Abschlüsse die zweckmässigste Reform sein dürfte, um die Vorherrschaft der Spekulation über das volkswirtschaftlich Nützliche abzuschwächen. Der dankenswerte und spannende Bericht der Soziologen aus der Bankenwelt zeigt, dass solide Banker der Hilfe von aussen bedürfen, damit nicht bloss das Finanzkasino saniert wird.“ Rolf Wiggershaus, Frankfurter Rundschau, Nr. 133/2010

„Da ist zum Beispiel der kultivierte Herr Traisenberg, zuständig für die Kundenbetreuung bei einer österreichischen Privatbank. Der gediegene Opernliebhaber bemüht Richard Wagners ‚Ring der Nibelungen‘ als Erklärungsmodell für die Finanzkrise. Das Finanzwesen sei unablässig damit beschäftigt, aus dem Gold der Nibelungen einen Ring von betörender Verführungskraft zu schmieden: ‚Wenn er geschmiedet wird, entsteht Gier, dann will jeder das Nibelungengold, dann gibt es diesen epischen Kampf‘. Und die vernichteten Billionenwerte existieren dann – um im Bild zu bleiben – wie das Nibelungengold nur in unserer Vorstellungskraft. Nicht alle der 30 Porträtierten können ihre Ursachenforschung mit dem Habitus des Bildungsbürgers dermassen elegant dekorieren. ‚Was tun Banker eigentlich, was sind das für Leute, wie hat sich ihr Leben unter den Eindruck der Krise verändert – und schliesslich: Wie konnte es so weit kommen?‘ Mit diesen Fragen konfrontierte ein Soziologenteam aus Bern, Wien und Frankfurt unter Leitung von Claudia Honegger Banker aus dem Privat- und Investmentbankbereich. Die empirische Annäherung an die gesellschaftliche Wirklichkeit mittels biografischer Fallstudien wird durch erhellende thematische Essays ergänzt.“ Alexander Sury, Der Bund, Nr. 134/2010

„Der Buchtitel ist ein eingängiges Wortspiel. ‚Strukturierte Verantwortungslosigkeit‘ spielt auf jene ‚strukturierten Produkte‘ an, mit denen die Börsenhändler global Amok liefen und damit wesentlich zur Finanzmarktkrise beitrugen. Dem wird mit der Verantwortung ein Begriff beigesellt, der in der Ökonomie normalerweise ausgeklammert wird. Und die Verknüpfung beider Wörter bindet alles in die Systemtheorie ein. Werden damit die Einzelnen aus der Verantwortung entlassen? Das ist eine der Fragen, die dieses Buch aufwirft. […] So ist das Buch zuerst einmal als Projekt interessant: international, aktuell, schnell. Man könnte es eingreifende Wissenschaft nennen. Der Hauptteil besteht aus kommentierten Gesprächen von durchschnittlich sechs Seiten. Die HerausgeberInnen nennen die verwendete Textform ‚soziologische Porträts‘, bei denen der Einzelfall mit dem Typischen verbunden werde. Die 31 Porträtierten, davon sechs Frauen, entstammen vier Arbeitsbereichen. Zuerst sind da die Systementwickler und IT-Spezialisten. Es folgen die FinanzberaterInnen, Devisenhändler und Investmentbanker. Danach Vertreter der klassischen Geschäftsbanken und PrivatkundenbetreuerInnen; schliesslich Steuerberater und Fondsmanager. […] Die Gespräche werden vertieft durch essayistische Analysen der Vertrauenskrise, der Bonifrage, der Mechanismen von Finanzskandalen. Besonders anregend ist der Beitrag von Claudia Honegger, die in ihren Reflexionen über die Geschlechterfrage in der Bankenwelt auf Immanuel Kant zurückgreift: Der hat die Sekundärleidenschaften Ehrsucht, Herrschsucht und Habsucht scharf kritisiert, sie allerdings nicht als anthropologisch gegeben betrachtet, sondern als aus einer Kultur hervorgegangen. Honegger spitzt aktuell zu, die Konzentration auf Geldwert und Geldspekulation möge ‚durchaus das Format eines männlichen Triebschicksals angenommen haben‘. […] Der Band liefert bemerkenswerte Einblicke zur Selbsteinschätzung, zum Habitus und zur Ideologie eines sozialen Typus. Die Bankenwelt bleibt aber handfester und materieller mit dem kapitalistischen System verhängt, als es diese kulturell orientierte Analyse zeigt.“ Stefan Howald, WOZ, Nr. 43/2010

„Es mag überraschen, aber die meisten Banker denken und sprechen wie ‚normale‘ Menschen auch: dass die Dinge aus dem Ruder gelaufen sind, dass die Gier alles angerichtet habe, dass mächtige Finanzkonglomerate tun konnten, was sie wollten etc. So formuliert eine Schweizer Investmentbankerin: ‚Viele sagen, es ist eine freie Marktwirtschaft, es soll von sich aus funktionieren. Aber es funktioniert einfach nicht. Sobald etwas zu gross wird, muss man jemanden haben, der ein bisschen schaut, nicht zu fest, der aber weiss, was läuft‘. Die Dinge entwickelten sich so, man kann sie erklären, aber es gibt nicht den einen Punkt, an dem irgendjemand ‚schuld‘ gewesen ist, dass es so kam. Wie in einer griechischen Tragödie habe sich das alles entwickelt, meint ein Wiener Private Banker: ‚Am Anfang ist niemand schuld und am Ende sind alle tot‘. […] Die ausführlichen Interviews zeigen, wie sehr das Selbstbild der Banker in den vergangenen Jahren Risse bekommen hat. Nicht nur für einen der Befragten wurde ‚die Finanzkrise zur Krise seiner Bank und schliesslich zu einer halben Midlife-Crisis im Kopf‘. Die Banker wissen so wenig und sind so wenig Herr über ihre Tätigkeit wie alle anderen Leute auch. So wie Finanzprodukte ‚strukturiert‘, also zerteilt, neu zusammengesetzt, aufgespalten und in kleinen Bündeln über die Welt verteilt wurden, so ist auch das Bankwesen ‚strukturiert‘, sodass niemand den Gesamtüberblick hat oder sich gar verantwortlich fühlen kann. […] Es kommt nüchtern und still daher und ist doch ein spektakuläres Buch. Es zeigt die brüchigen Glaubenssysteme einer Branche, zeichnet Porträts von Menschen, die als Rädchen einer Maschinerie funktionieren, wie die Maschine es von ihnen erwartet, die aber auch moralische Vorstellungen haben, die sie mit ihrer beruflichen Tätigkeit nicht immer leicht in Einklang bringen können; Menschen, die an sich zweifeln. Normale Leute eben, die mehr sind als die Karikatur des ‚Gier-Bankers‘. Wissenschaft at its best, weil sie hart an der Aktualität ist und doch mehr leistet als der normale Essayismus oder Journalismus. Wenn man dieses Buch liest, weiss man wieder, wozu Soziologie nützlich sein kann.“ Robert Misik, Der Falter, Nr. 27/2010

„Die Banker seien sich zwar ihrer Mitschuld für die Finanzkrise bewusst, ‚doch gibt es eine starke Tendenz, sich selbst herauszunehmen und die Verantwortung woanders hinzuschieben – von den Privatbankern zu den Investmentbankern, zum Top-Management, zur Politik, zur menschlichen Gier schlechthin, zu den gierigen Kunden. Es sind also eigentlich immer die anderen schuld‘. Am wenigsten scheinen sich die Konstrukteure der Finanzmodelle zu hinterfragen. ‚Diese strukturierte Verantwortungslosigkeit war bei ihnen tatsächlich besonders deutlich zu beobachten‘, so Honegger. ‚Diese Gruppe der sogenannten ‚Quants‘ (von quantitativ) sind auf einer Spielwiese, es sind mittlerweile Mathematiker und häufig promovierte Physiker. Sie berechnen oder strukturieren diese sehr komplizierten Produkte oder konstruieren Modelle für das Risikomanagement‘.“ Jean-Michel Berthoud, swissinfo.ch, 28.6.2010

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